Berichte rund um den Knast


Geschichten von Häftlingen



André Moussa S. aus der JVA Willich schrieb am 18. Juli 2015

Todesermittlungen in Sicherheitsverwahrung. Am 11.11.2014 verstarb Karl K in der JVA Bruchsaal. Viele Gefangene aus der Sicherheitsverwahrung, aber auch Langzeitgefangene ziehen sich komplett zurück, isolieren sich und nehmen nicht mehr am Leben in der JVA teil.

Die Anstaltsleitungen und Bediensteten schauen diesem regelmäßig nur zu, ist doch billig.Vor allem diese Gefangene machen doch keinen Ärger. Das ist ein O-Ton von Bediensteten, die sich über solche Fälle unterhalten.

So viel den Mitgefangenen schon länger auf, das bei Karl K. ein körperlicher wie auch geistig-seelischer Verfall vonstatten ging. Regelmäßig haben Mitgefangene das bereits beim Anstaltspersonal gemeldet, schilderten, wie Karl K. in seiner Zelle vermülle, mitunter die Notdurft neben dem WC verrichtete, sich mit Sanitätsreiniger wusch und natürlich dadurch auffälligen Ausschlag bekam. Aber auch sein Körper. So hatte er Wasser in den Beinen und am Ende abnorm vergrößerte Hoden. Am Schluss konnte er nur noch über die Abteilung schlurfen. Auf persönliche Ansprache reagierte Karl K. zunehmend einsilbig oder auch gar nicht.

Die Staatsanwaltschaft der StA Stuttgart ermittelte gegen die Verantwortlichen der JVA Freiburg und die Verantwortlichen des Justizvollzugskrankenhauses. Gleichzeitig beauftragte die StA Stuttgart die Polizei, Pfleger und Ärzte des Gefängniskrankenhauses zu vernehmen.

Mit Verfügung vom 09.04.2015 stellte erster Staatsanwalt das Verfahren ein, denn es könne ein Fremdverschulden nicht mit einer zur Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden.

Diese Fälle sind es, die uns das Recht geben, Anklage gegen die ärztliche Versorgung hinter Gittern anzuprangern. Denn es sind ja nicht nur die Extremfälle, die zum Tode führen. Nein, es sind Gefangene, die Jahre unter den Anwaltsärzten leiden müssen, weil nicht wie draußen der Gefangene den Arzt wechseln kann. Er ist angewiesen auf seine Gnade.

Ich, der Gründer und Vorsitzender des Knastschadenkollektivs '§' muss seit Jahren unter der ärztlichen Misshandlung leiden. Dabei muss ich das noch mit Vorbehalt sagen, bis nicht ein Gericht seine Schuld bewiesen hat. Dabei ist diese eindeutig. Oder wie erklärt er gegenüber der Öffentlichkeit, das er mich über Jahre im Sitzen schlafen lässt, obwohl er genau weiß, das man durch eine orthopädische Behandlung mich vielleicht heilen könnte. Niemand kann sich annähernd vorstellen, mit welchen unerträglichen Schmerzen man aufwacht, die mitunter Stunden brauchen, bis sie wieder verschwinden.

Selbst vor ein Entmündigungsverfahren schreckte der Anstaltsarzt nicht zurück. Ja wirklich. Der Arzt hat versucht, in Sachen der Rechtsangelegenheiten mir einen Betreuer vor die Nase zu setzen. Der Gutachter, der selber seit Jahren schon Betreuer ist, sagte mir: "In meiner ganzen Laufbahn habe ich noch nie von einem ähnlichen Fall gehört, wo man einen Gefangenen das Recht des Klagens zwecks Betreuung wegnehmen will." Natürlich ist er mit seinem Antrag gescheitert. Eine Entschuldigung o.ä. habe ich bis heute nie erhalten.

Man muss sich die Frage stellen: Haben wir Gefangene nicht das Recht auf eine menschenwürdigere Behandlung? Es darf nicht sein, das Menschen hinter Gittern ihr Leben lassen müssen, weil die Gerichte den Ärzten einen Ermessungsspielraum geben, der gegen das Grundgesetz der BRD verstößt.

Unsere Forderungen müssen sein, das man eine sofortige Kommission einsetzt, die Fälle von Gefangenen, die schon Monate wie im Fall von Karl K., der nur vor sich hinvegetierte, einschreiten. Denn mitunter sind auch besonders Gefangene betroffen, die schon Jahre in Haft sind und eben durch die Haft erkrankt sind. Denn Depressionen, psychische Krankheiten wie auch Vereinsamung sind leider heute keine Seltenheit mehr.

Die Psychologen der JVA´s sind mitunter für den Gefangenen erst nach Wochen zu erreichen. Bei Anträgen an den Psychologen bekommt man einen Termin in 4-6 Wochen. Schon zu Beginn bekommt man dann gesagt: eine halbe Stunde! Und nach 5 Minuten beginnen Sie schon, auf die Uhr zu schauen.

Das sie in Verbindung mit Anstaltsärzten die Verantwortung haben ist ihnen gar nicht bewusst. So war es auch bei der Gefangenenredaktion Lichtblick aus der JVA Berlin-Tegel, die einen der größten Skandale eines psychologischen Dienstes aufgedeckt haben. Es wurden versteckte Aufnahmen gemacht und Gutachten draußen zur Begutachtung vorgelegt. In allen Fällen wurde die Diagnose erstellt: Katastrophe (siehe Ausgabe Lichtblick Nr. 354/46 Jahrgang 1/2013)

Auch einer der kritischsten Professoren, Dr. Heino Stöver, hat in den letzten Jahren die gesundheitliche Versorgung von Gefangenen besonders kritisiert. Aber nicht nur er. Viele andere Rechtswissenschaftler, Politiker der Linken und Piraten kritisieren die ärztliche Versorgung hinter Gittern. Ich versuche, soweit es möglich ist, Berichte und jegliche Fälle von Missbrauch bis hin zum Todesfall vor den jeweiligen Staatsanwaltschaften anzuzeigen.

Im Namen des Knastschadenkollektivs '§' habe ich u.a. gegen den ehemaligen stellvertretenden Redakteur der Bild am Sonntag, der im August 2014 einen fremdenfeindlichen Artikel über Muslime verfasste, Strafanzeige gestellt. Und so wurde ihm dann auch sein Vertrag bei der BaS gekündigt, was mitunter ein Erfolg unserer Klagen ist. Denn jeder kann etwas gegen Diskriminierung tun. Auch Gefangene können Anklage erheben.

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